Der Wind pfeift schneident über den Schnee und wirbelt Eiskristalle empor. Es ist wahrhaftig eine harte Zeit. Alles Grün ist unter der dicken Schneeschicht begraben. Doch unter der dicken, isolierenden Schicht hört das Leben nicht auf, geschützt vor dem eisigen Wind und der Kälte schlummert die Pflanzenwelt dem Sommer entgegen. Doch für viele Tiere ist die eisverkrustete Schneedecke ein Hindernis, viele Rentiere reißen sich beim Einbrechen der dünnen Beine durch die Kruste die Fesseln auf, und einige der alten oder kranken Tiere werden deshalb so geschwächt, daß sie während den endlosen Wanderungen der Herden die Tagesstrecke nicht mehr mithalten können und zurückbleiben. Sie sind praktisch dem Tod geweiht. Ihnen fehlt der Schutz und die Wärme der Herde. Es vergehen nicht mehr wie einige Tage, und schon hat ein solches Einzeltier Wölfe auf der Fährte.
Das Leben in der Eiswüste ist sehr hart, und jede Verletzung kann den Tod bedeuten.
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Ein Blaufuchs erscheint am Rand einer Schneewehe und verharrt witternd. Daraufhin beginnt er, den Abhang hinabzutrotten. Mit seinem dichten Pelz sieht er einem Pelzknäuel ähnlich, doch das schimmernde Fell wird ihm leider oft zum Verhängnis, da immer wieder geldgierige Unternehmer Füchse zu Massen abschlachten lassen, um die Pelze zu bekommen.
Doch dieser Fuchs, der soeben eine frische Fährte im Schnee entdeckt hat und sie nun aufmerksam untersucht, kennt solcherlei Sorgen nicht. Er ist eifrig darauf bedacht, Futter herbeizuschaffen, denn im heimatlichen Bau warten drei hungrige Mäuler, die nach Nahrung verlangen. Die Füchsin ist inzwischen zur Feststellung gekommen, daß dies eine äußerst frische Hasenfährte ist, die maximal 15 Minuten alt ist. Es lohnt sich also, ihr zu folgen. Im schnellen Trott und die schnüffelnde Nase stets dicht über dem Boden nimmt sie die Ver-folgung auf und verschwindet langsam hinter einem Hügel.
Es ist sehr einsam in der ewigen Eiswüste, und es kann durchaus sein, daß ein Beobachter tagelang, ja wochenlang kein lebendiges Wesen zu Gesicht bekommt. Doch jetzt regt es sich schon wieder hinter der Schneewehe. Zwei pelzige Ohren tauchen auf, ein kantiger Kopf, man hört ein leises Hecheln, dann steht dort ein ausgewachsener Wolf, ein völlig schwarzes, kräftiges Tier, daß sich kraftvoll und mit hocherhabenem Kopf vom aschgrauen Himmel abhebt. Der Wind spielt ihm in den Haaren und zerrt an seiner langen, schwarzen Mähne. Ruhig und gelassen trottet er den Hügel hinunter und trifft auf die Fährte des Fuchses. Ein kurzes Schnüffeln, und der Wolf wendet sich ab. Ein Fuchs ist nicht nur zu wendig, er ist auch sehr mager und keine gute Beute, so daß es nicht der Mühe wert ist, dafür Energie zu verschwenden. Der Wolf geht einige Schritte, stockt dann plötzlich und wendet sich noch einmal zur Fuchsfährte um. Dicht daneben verläuft schnurgerade eine Hasenfährte. Sie duftet beinahe nach fettem Hasenfleisch. Da erkennt der Wolf, daß Eile Not tut, um dem Fuchs zuvorzukommen. Nach eingehender Prüfung der Fährten macht er sich mit dem Wissen, daß der Fuchs erst wenige Kilometer Vorsprung hat, auf den Weg. Nach ca. fünf Minuten beginnt er gemächlich, vom Trott in einen flotten Lauf überzugehen. Nach einiger Zeit, in der er seine Geschwindigkeit nicht um das Mindeste gedrosselt hat, erblickt sein geübtes Auge in der Ferne den Fuchs, der, als er über eine etwas schattige Schneedüne läuft, sich einen Moment vom Untergrund abhebt. Er beschleunigt seinen Schritt noch ein wenig, was ihm jedoch keine bemerkbare Anstrengung kostet. Er prüft den Wind, der ihm entgegenkommt und ihm die Witterung des Fuchses zuträgt. Nach wenigen Minuten trennen ihn noch ca. fünfhundert Meter von seinem Ziel, als er bemerkt, wie der Fuchs unruhig wird und beginnt, herumzusuchen. Er läuft im Kreis und ist sichtbar ratlos. Der Wolf legt sich in den lockeren Schnee, um nicht entdeckt zu werden, und beobachtet den Fuchs weiter. Der hat keinen Rat und setzt sich einen kurzen Moment auf sein Hinterteil. Da weiß der Wolf, daß es keinen Zweck hat, länger zu warten, und schlendert zum Schauplatz des Geschehens, immer die Fährte vor der Nase. Der Fuchs, des Wolfes plötzlich gegenwärtig, verzieht sich so schnell wie möglich. Er ist sich zwar bewußt, daß er nicht gerade die Leibspeise eines Wolfes ist, doch wenn ihnen ein Fuchs habhaft werden kann, verschmähen sie ihn nicht.
Der Wolf kommt näher heran und hält die Schnauze dicht über den Boden. Die Spur des Hasen läuft im Zickzack über den Schnee. Dann führt sie im Kreis, sie läuft sogar in die eigene alte Spur zurück, und da merkt der Wolf plötzlich, daß er im Kreis läuft und die Spur gar nicht mehr aufhört. Er hält inne und schnuppert argwöhnisch.
Dann überblickt er kurz, wie weit der Hase evtl. vom Spurenkreis wegspringen könnte, und sucht dann die Umgebung ab. Und schon kurze Zeit später sieht er ein Abdruck, wo der Hase nach einem beachtlichen Sprung von zwei Metern im Schnee landete und wohl vergnügt weiterhoppelte, sicher stolz, mit seinen Künsten alle Verfolger abschütteln zu können. Doch der Wolf ist schon alt und erfahren, er hatte schon viele Hasen gejagt und kennt jede ihrer Schlichen, so leicht ist er nicht hinters Licht zu führen. Eifrig trottet er im flotten Schritt der Spur nach. Er ist nicht weit gekommen, da erblickt er eine Bewegung im Schnee. Der Hase, ein fettes Tier, hat seinen Häscher noch nicht bemerkt und wühlt im Schnee, um ein paar grüne Blättchen zum Vorschein zu bringen. Lautlos auf samtenen Pfoten schleicht sich der Wolf gegen den Wind an den Hasen heran, bis er nur noch zwei Sätze von ihm entfernt dicht am Boden liegt. Gespannt äugt er zu dem Leckerbissen hinüber, der ahnungslos an einem bißchen ausgegrabenem Grünzeug herumknabbert. Sollte der Fang ihm so leicht gelingen? Seine Seher begannen bereits freudig zu funkeln. Doch plötzlich zerreist ein schriller Warnruf die Luft, ein Regenpfeifer flattert auf und stößt immer weitere Rufe aus. Der Hase schreckt auf, wird des Wolfes gegenwärtig und macht einen mächtigen Satz, doch der Wolf reagiert im Bruchteil einer Sekunde, und gleich darauf ist er schon wenige Schritte hinter dem Hasen. Der Hase versucht noch, sein Leben mit einen paar Hacken zu retten, doch er ist auch nicht mehr sehr jung und voller Lebenskraft, alle Erfahrenheit und Verschlagenheit kann er jetzt nicht mehr gebrauchen, was er jetzt bräuchte, wären starke, ausdauernde Beine, die jetzt bereits müde wurden. Der Wolf jedoch verfügt über durchtrainiere Beine und eine ausdauernde Lunge, und nach kurzer aber heftiger Verfolgung ist er nicht im geringsten erschöpft. Und schließlich versagen die Beine des gehetzten Tieres, der Hase stolpert und überschlägt sich aufgrund der hohen Geschwindigkeit, der Wolf packt ihn im nächsten Moment und reißt ihm sofort die Schlagader auf, um das noch warme Blut, die nährhafteste Flüssigkeit in der Arktis, aufzufangen, worauf es sogleich warm und wohlig durch seinen Körper rieselt. Nachdem der erste Durst gestillt ist, nimmt er die Beute in die Schnauze und sucht eine windgeschützte Stelle auf, um den Hasen in Ruhe fressen zu können. Nach einiger Zeit legt er sich ein wenig zu Ruhe, er läßt sich zur Seite fallen und von dem langsam einsetzenden Schnee zudecken, der ihn wie eine warme Decke umhüllt. Dort schlummert er ein halbes Stündchen, um sich dann den Schnee vom Fell zu schütteln und sich wieder an die letzten Reste des Hasen zu machen. Bald wird er sich wieder auf den Weg machen müssen. Er braucht wieder Nahrung, Energie verbraucht sich schnell in der arktischen Kälte. Und so wandert der einsame Wolf viele Kilometer am Tag, er hat kein Revier, keine Heimat, und irrt so scheinbar ziellos durch die Eiswüste, hier und dort ein neugeborenes Rentier oder einen fetten Hasen erlegend. Es ist zur Zeit ein geruhsames und leichtes Leben für den Wolf, doch das war nicht immer so. Er hatte schon Hungerperioden durchlebt, in denen er ermattet und dem Tode nahe irgendwo im Schnee lag, zum Sterben bereit, vom Schnee langsam zugedeckt, und als plötzlich, wie durch Zufall oder von unsichtbarer Hand gelenkt, ein leichtsinniges Füchschen beinahe über ihn stolperte, der Schee, der davor der kalte Tod bedeutete, war jetzt die rettende Tarnung und ließ seinen Wolfsgeruch verschwinden. Da flammte der Lebenswille wieder auf, doch mit scharfem Verstand und Klugheit, nicht mit unbeherrschter Zügellosigkeit, machte der schwache Wolf einen Satz und schlug die Zähne in sein Opfer, um es nicht wieder loszulassen. Gestärkt und mit neuen Hoffnungen war er dann wieder aufgebrochen, hatte noch ein Wild erlegt und war damit wieder stark genug, um zu überleben.
Er hatte auch einmal bereits die Stellung eines Leittiers eines Rudels. Er war der stärkste von allen, der Klügste und Verschlagenste. Er war als junger kraftvoller und tatendurstiger Jüngling auf das Rudel gestoßen und mußte sich zunächst einfügen, um geduldet und akzeptiert werden. Doch er kletterte in der Rangordung des Rudels immer höher, gewann immer mehr an Erfahrung und Schläue, zwang immer mehr Wölfe unter sich und war schließlich nach dem Leitwolf der ranghöchste Wolf im Rudel. Er begleitete den Leitwolf auf jeder Jagd, war immer an seiner Seite und bezog eine eine enge Freundschaft mit ihm. Ihm verlangte es zwar nach der höchsten Leitstelle im Rudel, doch er ordnete sich seinem Leittier unter. Manchmal jedoch schien es fast so, als träfe der Leitwolf erst eine Entscheidung, wenn auch er selbst einverstanden war.
Doch eines Tages tauchte ein ziemlich großer Wolf mit grauem Fell auf. Er besaß nur noch ein Auge und eine große, schlecht verheilte Wunde an der Flanke. Der Leitwolf wurde sofort aufmerksam und richtete sich drohend auf. Der Fremde war größer als der Leitwolf und sah stärker aus, doch der vertraute auf seine Behendigkeit und ging dem Herausforderer entgegen.
Der Graue fletschte agressiv die Zähne und ging sofort in Kampfstellung. Die beiden Wölfe umkreisten sich zunächst nur, um die Kraft und Stärke des Gegners einzuschätzen, während der Rest des Rudels einen Kreis um die beiden bildeten. Der Leitwolf war zuversichtlich, aus dieser Begegnung als Sieger hervorgehen zu können. Sein Gegner sah ihn mit seinem einen Auge verschlagen an und duckte sich. Der Leitwolf parierte sofort, und nach einem heftigen Zähnefletschen und Knurren standen sie sich wieder gegenüber. Dieses Hin und Her dauerte ein paar Minuten, währenddessen der Kreis der Wölfe sich immer enger um sie schloß. Die Atmosphäre war zum Zerreissen gespannt.
Da plötzlich, ohne eine Vorwarnung, geschah das Unfaßbare! Der Einäugige machte einen Ausfall und stürtzte vor, der Leitwolf wich aus und schnappte nach dem anderen, der jedoch machte einen Satz, duckte sich blitzschnell tief in den Schnee und entging so dem starken Gebiß des Leitwolfes, das trocken in der Luft zuschnappte. Der Graue warf sich herum und biß zu. Der Leitwolf schnappte nach Luft, wurde im nächsten Moment umgeworfen und krümmte sich instinktiv zusammen, um seinen Hals zu schützen, doch der Fremde reagierte geistesgegenwärtig in dem Moment, als der Leitwolf sich wieder erheben wollte, und schnappte erneut zu, traff diesmal die Halsschlagader, und der Leitwolf sank in sich zusammen, während seine Sinne schwanden.
Das ganze Rudel zuckte zusammen und duckte sich, und ein erfahrener hochrangiger Wolf, ein außergewöhnlich großes und stämmiges Tier, das bereits viele Kämpfe gewonnen hatte, stürzte sich vor, um sich dem neuen Herrscher und Eindringling sofort zu widersetzen, doch der starke Gegner riß im mit einer blitzschnellen Bewegung, der das Auge kaum folgen konnte, die rechte Schulter auf, worauf der Wolf betäubt und blutend zurücktaumelte. Es schien, daß der Fremde die Macht über das Rudel übernommen hatte, er forderte unerbittlich die Leitstelle im Rudel.
Da bäumte es sich im Herzen des Schwarzen auf, nun, da der Leitwolf tot war, erwachte in ihm das unbändige Verlangen, seinen Traum wahr zu machen und die lang ersehnte Leitstelle im Rudel zu übernehmen.
Er trat einige Schritte auf den Fremden zu, duckte sich und knurrte laut und drohend. Der Fremde fuhr herum und blickte ihn scharf an, während ein tiefes, ratterndes Knurren aus seinem Rachen ertönte. Mit dem einen Auge blickte er agressiv und äußerst gereizt seinen dritten Herausforderer an, der inzwischen zu einem mächtigen Wolf herangewachsen war, dem der ehemalige Leitwolf nur noch an Erfahrung überlegen war, nicht mehr jedoch an Stärke und Schläue. Und so forderte er den fremden Einäugigen heraus. Sofort bildete sich wieder ein Kreis um die beiden. Dann stürzte der Graue vor, der Herausforderer war jedoch vorbereitet und wich blitzschnell aus, wehrte ab und hätte den Fremden beinahe zu Fall gebracht, und der mußte feststellen, daß er seinen Widersacher unterschätzt hatte. Doch der Schwarze ließ ihn von jetzt ab nicht mehr zur Ruhe kommen. Er schnappte nach ihm, immer wieder, riskierte aber nicht zuviel. Seine Taktik war offensichtlich, er wollte den Einäugigen langsam mürbe machen, was ihm angesichts der Tatsache, daß der Fremde deutlich älter war als er, durchaus gelingen konnte, wenn er nur die Ausdauer, aber auch die Geduld und Beherrschtheit besaß. Der Fremde erkannte dies schnell, doch so sehr er sich auch anstrengte, jeder Angriff seinerseits wurde von einem offenen Rachen empfangen, und nicht zu selten besaß er anschließend eine kleine Wunde mehr an seinem nun schon zerschundenen Körper, der aus vielen Stellen blutete. Er wurde langsam unvorsichtig, und plötzlich erwischte ihn der Schwarze an der Flanke, und es gelang ihm sogar, sich darin festzubeißen. Der Fremde versuchte, ihn loszubeißen, doch ihm gelang nur, die Ohren des anderen zu zerfetzen. Schließlich konnte er sich mit einem Ruck befreien, doch in der Flanke klaffte nun ein große Wunde.
Er wurde immer wieder von seinem Gegner attakiert und fühlte seine Kräfte schwinden. In einem kurzen Moment der Unaufmerksamkeit setzte der Schwarze zum entscheidenten Sprung an. Das mächtige Gebiß schloß sich blitzschnell um den Hals des Fremden, und der spürte, daß der Kampf verloren war. Er ließ sich auf den Rücken fallen und gab seine Kehle frei. Dieses Zeichen der totalen Aufgabe und Wehrlosigkeit löst bei Wölfen eine Beißhemmung aus, und so ließ der Wolf von ihm ab. Der Fremde erhob sich schwer atmend und humpelte langsam davon, einen nahen Hügel hinauf. Der Sieger trottete ihm noch nach, bis er auf der höchsten Stelle des Hügels stand. Dort sah er, wie der Fremde den Abhang hinabtaumelte und sich kaum auf den Beinen halten konnte. Würde er überleben? Die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber vielleicht wird er auch so ein Glück wie er selbst haben, als er fast verhungert wäre.
Er trottete zurück zu dem Rudel. Ihm war klar, daß er nun, nach dem Tod des Leitwolfes und dem Sieg über dessen Herausforderer, an die Stelle des Leittieres rückte. Doch er war nicht ganz zufrieden, da er dadurch den nun toten Leitwolf verlor. Doch das Leben in der Arktis ist hart. Er mußte sich seiner neuen Aufgabe nun voll widmen, um seiner Stellung gerecht zu werden, und begann sofort, die Herrschaft über das Rudel zu übernehmen, das sich widerspruchslos unter ihn fügte.
So führte er die Horde mehrere Jahre an, leitete sie durch viele Gefahren und erlebte viele Kämpfe, von denen er keinen verlor. Das Rudel war größer geworden, seine stete Gefährtin war eine schnelle, kluge Wölfin, die nie von seiner Seite wich. Sie setzte ihm drei junge Wölfe in die Welt, diese wuchsen heran und wurden ein Teil des Rudels.
Doch es kam schließlich ein Tag, der sein Leben völlig veränderte. Er begann vielversprechend, in der Nähe des Rudels lagerte sich eine Herde Rentiere. Das Rudel erhoffte sich eine leichte Beute und begann, die Herde zu umstreifen, um nach jungen oder kranken Rentieren Ausschau zu halten, als plötzlich ein ihnen allen völlig unbekanntes Brummen ertönte. Der Leitwolf wurde unruhig, da er das Geräusch noch nie gehört hatte.
Das Geräusch wurde allmählich lauter, und plötzlich stieß einer der Wölfe einen Warnruf aus und blickte gen Himmel. Dort wurde ein Punkt sichtbar, der sich schnell vergrößerte. Die Renttierherde ergriff die Flucht, als sie des Flugzeug gewahr wurden, und hinterließen eine mächtige Staubwolke, doch das Wolfsrudel verharrte an ihrer Stelle, während der Leitwolf mit erhobenem Kopf den vermeintlichen Feind erwartete.
Zur selben Zeit saßen oben in dem kleinen Sportflugzeug drei Männer, alle dick in Pelzmänteln gehüllt, dunkle Sonnenbrillen vor den Augen, und jeder hatte ein Repertiergewehr auf den Knien. "Olsen, du faules Pack, du hast uns doch was versprochen! Wo sind denn nun die Wölfe?" Der bärtige Mann am Steuerknüppel blickte nach hinten und grinste. "Ihr werdet schon noch euren Fang bekommen!" Mr. Miller, ein beleibter, feißt wirkender Mann, nahm sein Feldstecher zur Hand und nahm neben Olsen auf dem freien Sitz des Co-Piloten Platz. Dann setzte er den Feldstecher vor die Augen und ließ langsam den Blick über die unendliche weiße Fläche schweifen. "120 $ für einen Wolfspelz, das lohnt sich!" murmelte er leise vor sich hin.
Das Flugzeug näherte sich nun allmählich dem Wolfsrudel. Da stieß Raimond, ein hagerer Mann mit vielen Zahnlücken, der hinten zusammen mit einem dritten an einem kleinen Fenster saß, einen gedämpften Pfiff aus. Er deutete auf eine Anhäufung von dunklen Flecken am Boden. "Sind das Erdflecken, oder was?" rief er dem dicken Mann auf dem Co-Pilotensitz zu. "Schau doch mal mit dem Glas!" Mr. Miller richtete das Fernglas auf die von Raimond bezeichnete Stelle. Gleich darauf senkte er das Glas und schüttelte mit leuchtenden Augen den Kopf. "Ein Wolfsrudel!"
Sofort kam Bewegung in die Männer. Sie postierten sich an den Luken, entsicherten ihre Gewehre und prüften schnell noch einmal alle Einstellungen. Dann hatte das Flugzeug das Rudel erreicht. -- -- --
Der Leitwolf knurrte ein wenig hilflos vor dieser unbekannten Gefahr und sträubte sein Nackenfell. Das Rudel scharrte sich dicht um ihn und war sehr nervös. Dann war das Flugzeug direkt über ihnen. In diesem Augenblick zerrissen drei ohrenbetäubende, knallende Geräusche die Luft, und der Schnee stäubte rund um ihnen auf. Die Wölfe heulten laut auf, einer von ihnen stieß Schmerzenslaute aus. Er blutete aus dem Rücken und konnte sich nicht mehr bewegen.
Das Flugzeug flog ein Stück weiter, drehte dann und kam wieder zurück. Kurz sah man das Mündungsfeuer aufblitzen, dann brach der Wolf, der direkt vor dem Leitwolf stand, zusammen. Das ganze Rudel rannte verstört auseinander und versuchte vergeblich zu fliehen.
Doch das Flugzeug war in Windeseile hinter ihnen, und wieder fiel ein Wolf dem tötlichen Kugelhagel zum Opfer. Der Leitwolf rannte, was seine Lungen hergaben. Er erkannte, daß man gegen diesen Feind nichts ausrichten konnte, und suchte sein Heil in der Flucht. Doch einige Momente später war das Flugzeug über ihm, und nach einem Donnergetöse fuhr ihm ein heißer Schmerz wie eine glühende Nadel in die Flanken. Er wurde fast umgeworfen vor Schreck und Schmerz, doch er rannte weiter. Einige Sekunden später huschte wieder der Schatten über ihn, und erneut ertönten Schüsse, er fühlte einen stechenden Schmerz im Rücken, der ihm den Atem nahm. Da ließ er sich in der Verzweiflung in den lockeren Schnee fallen, wand und krümmte sich und war im Nu unter der Schneedecke versteckt.
Oben im Flugzeug hatte niemand etwas bemerkt. Nur Olsen wunderte sich über das plötzliche Verschwinden des gerade verfolgten Wolfes, doch im nächsten Augenblick tauchte wieder ein Teil des zersprengten Rudels auf, und die Männer grölten ausgelassen. Sie fingen an, Wetten abzuschließen, einen bestimmten Wolf zu treffen. Doch dann tauchten Unstimmigkeiten auf, als Mr. Miller standhaft behauptete, er habe gesehen, wie "sein" Wolf getroffen worden sei, doch die anderen bestritten das. --
So ging das Schlachten weiter, bis auf der ganzen Schneefläche kein Wolf mehr zu sehen war, der sich bewegte . Dann landeten sie die Maschine und begannen, die toten Wölfe, die überall verstreut herumlagen, abzuhäuten, und den Wölfe, die noch am Leben waren, den Rest zu geben, um sie ebenfalls abzuhäuten.
Der Leitwolf merkte von alledem nichts. Er lag unter einer dünnen Schneeschicht und leckte sich seine Wunden am Bein und am Rücken. Es schmerzte sehr, und auch das Lecken verschaffte ihm diesmal keine Milderung. Er hörte das erneute Donnern des Flugzeugmotors, als das Flugzeug wieder startete und abhob. Langsam verebbte das dröhnende Geräusch, doch der Leitwolf wartete jedoch noch eine ganze Stunde, bevor er sich vorsichtig erhob. Er schaute sich um und schnüffelte. Er roch Blut, aber auch Menschengeruch, der ihm widerlich in die Nase stach. Er trottete, sein verletztes Bein nachziehend, zu dem Kampfplatz zurück, immer wieder stehenbleibend und argwöhnisch horchend. Seine Ohren drehten sich ständig wie Antennen, doch es herrschte völlige Stille. Dann sah er die aufgewühlten Stellen, die Stiefelabdrücke im Schnee, die penetrant nach Mensch rochen, und als schlimmste Grausamkeit die vielen abgehäuteten Tierleiber, die verstreut im Schnee lagen.
So taumelte er fast wie im Traum über das Schlachtfeld, doch plötzlich blieb er abrupt stehen. Er reckte den schweren Kopf langsam gen Himmel, dann öffnete er das Maul und stieß ein langgezogenes, schmerzerfülltes Heulen aus, ein trauriges Wehklagen, das erst nach vielen Minuten endete. Er stand vor der Stelle, an der seine Gefährtin lag, nur noch der fleischfarbene Körper zeugte von dem Mord, doch er sagte ihm alles. Der Leitwolf heulte noch lange an dieser Stelle, legte sich dann daneben und grub seine Nase tief in den Schnee, dem noch leicht der Geruch der Wölfin anhaftete. Dort lag er lange, eine Stunde, zwei Stunden, er hatte das Zeitgefühl verloren. Doch plötzlich stand er auf, warf einen letzten Blick auf die Stelle, an der die Mutter seiner drei Söhne lag, und ging dann fort, nur fort von diesem Platz des Todes, und trottete stetig, wenn auch nur auf drei Beinen, durch die klirrende Kälte der Eiswüste. Doch nach einigen Kilometern wurde er langsamer, und schließlich blieb er stehen. Sein Bein brannte wie Feuer, und der Rücken schmerzte bei jeder Bewegung aufs Heftigste. Ihm wurde fast schwindelig vor Pein. Er legte sich in den Schnee und ließ sich von den dicken, weichen Schneeflocken, die in diesem Augenblick zu tanzen begannen, zudecken. Er war es müde, weiterzuleben, und beschloß, einfach liegenzubleiben und sich vom Schnee begraben zu lassen.
Er fiel kurz darauf in einen tiefen Schlaf, von der schützenden Schneedecke wärmend umhüllt. Er schlief lange, während sein Körper automatisch den Heilungsprozeß in Gang setzte. Die Wunde begann zu eitern, das gesamte Körperabwehrsystem richtete sich gegen diese Fremdkörper aus Metall. Der Wolf fieberte und warf oft den Kopf im Schlaf hin und her, als hätte er Alpträume. Dann, nach drei Tagen, schlug er wieder die Augen auf. Dunkelheit umgab ihn, doch etwas anderes nahm seine Gedanken in Anspruch. Schon bevor die Jäger kamen, war er mager, doch jetzt, nachdem der Körper so viel zusätzliche Energie aufbringen mußte, plagte ihn ein gewaltiger Hunger. Er hob den Kopf, doch er stieß an die Schneedecke über ihm. Sie war durch den ständigen warmen Atem des Wolfes leicht vereist und hart. Er stemmte sich dagegen, doch seine geschwächten Beine versagten. Er fiel kraftlos zurück und begann, wieder einzuschlafen.
Nach weiteren zwei Tagen erwachte er plötzlich erneut. Was hatte ihn geweckt? Er spitzte die Ohren, doch er konnte nicht wahrnehmen. Nicht nur die Kälte, auch Geräusche werden vom Schnee gedämpft und abgewehrt. Doch da bemerkte er den Grund seines Erwachens. Sein Körperabwehrsystem signalisierte ihm, daß die Gewehrkugeln, die in seine Flanke und seinen Rücken eingedrungen waren, herausgeeitern waren. Somit war er nicht mehr so stark behindert, und der Heilungsprozeß konnte ungehindert voranschreiten. In einigen Wochen wird der Wolf nichts mehr davon spüren. Er richtete sich auf und preßte seinen muskulösen Nacken gegen die Eisdecke. Sie knirschte, doch sie gab nicht nach. Da wand sich der Wolf auf den Rücken und biß ein paar Mal heftig in die Eisschicht. Nun steckte er seine spitze Schnauze in den weichen Schnee, stemmte sich hoch, bohrte weiter und spürte sofort, daß der Widerstand kaum mehr vorhanden war. Er benützte nun auch seine Läufe, um den Schnee in die leere Höhle hinter ihm zu schaufeln. Er schnaufte und nieste, wenn der Schnee ihm naßkalt in die Nase rieselte. Doch er drückte noch einmal kräftig, und seine Augen erblickten das Licht des Tages. Für einen kurzen Moment mußte der Wolf die geblendeten Augen schließen, doch kaum hatte er sich an das Licht gewöhnt, gab er sich einen letzten Ruck, und er war wieder frei. Nun schüttelte er sich zunächst, streckte seine steifen Glieder und begann dann zielstrebig, nach Futter zu suchen, denn sein Magen knurrte gewaltig!
Jetzt, während er hier hinter der Düne liegt und seinen Hasen verzehrt, denkt er gewiß nicht mehr daran zurück. Nach dem Vorfall mit den Jägern lebte er noch viele Jahre, hatte sich aber nie wieder einem Rudel angeschlossen. Und nun liegt er hier schon alt und mit leicht verfilztem Fell, mit einigen Narben und einem manchmal müdem Blick.
Nach einer kurzen Ruhezeit, in der er ein wenig döst, rafft er sich auf und trabt wieder weiter. Er ist ständig auf Wanderschaft, und er war noch nie länger als drei Tage an einem Ort, seit er allein ist. Doch er hatte nie Verlangen nach einem Partner gehabt, ebenso-wenig wie nach einem Revier, wo er sich längere Zeit niederlassen könnte, wie z.B. in einer wärmeren Gegend, wo es auch mehr Wild gäbe und keine so extremen Kälteperioden, keine nahezu ewig andauernden Polarnächte und kein ständiger Überlebenskampf gegen Kälte, Feinde und Hunger. Doch der Alte verzichtet auf das alles und lebt gerne hier. Er ist hier geboren, er verbrachte hier seine Jugend, und hier findet er sich zurecht. Ein südlicheres Gebiet würde nur neue Konfrontationen aufwerfen, die er erst kennenlernen müßte. Ja, hier ist seine Heimat, wo er hingehört. Und er fühlt sich allein sehr wohl. Doch das sollte sich bald ändern!
Der Alte wandert jetzt schon über zwei Stunden, ohne daß er ein Zeichen von Leben gesehen hat. Doch endlich gewahrt er eine Fährte im Schnee und eilt darauf zu. Als er davor steht, fährt ihm statt dem Geruch eines Beutetiers Wolfswitterung in die Nase. Das ist an sich nichts besonderes, und der Alte hat sich in solchen Fällen immer auf Distanz gehalten, wenn es irgendwie möglich war. Er versuchte, möglichst jedem Streit aus dem Weg zu gehen. Doch diesmal ist es anders. Ein besonderer Duft scheint der Witterung beigemengt zu sein, ein Geruch, der ihn ungemein anzieht. Er wittert noch einmal aufgeregt und nimmt eifrig die Verfolgung der Fährte auf, ohne sich von etwas anderem mehr ablenken zu lassen.
Als er einige hundert Meter in eiligem Schritt gegangen ist, gewahrt er eine Bewegung hinter einigen dürren Tundrabüschen. Auf leisen Pfoten tastet er sich um die Büsche herum und erblickt am Fuße des Hügels, auf dem er steht, zwei Wölfe.
Während er langsam den Hügel hinabschreitet, beobachtet er die beiden, die ihn zunächst gar nicht bemerken, da sie sich zu sehr mit sich selbst beschäftigen. Im einen Moment tollen sie umeinander und spielen, im nächsten rennen sie in höchstem Tempo hintereinander her und versuchen, sich gegenseitig umzuwerfen, und dann sitzen sie wieder völlig ruhig da und beschnüffeln sich gegenseitig.
Der Alte sieht das alles, und ohne die beiden einen einzigen Moment aus den Augen zu lassen, faßt er einen Entschluß. In diesem Augenblick wird der andere Wolf seiner gewahr, fährt empor und fletscht drohend die Zähne, während sich sein Nackenhaar sträubt.
Der Alte, hin und hergerissen einerseits von der Gewohnheit, Streit aus dem Weg zu gehen und sein Leben alleine zu verbringen, und andererseits von dem unerklärlichen Verlangen, das plötzlich von ihm Besitz ergriffen hat, diese Wölfin ebenfalls zu umwerben und schließlich für sich zu gewinnen, zögerte zunächst. Doch nach einigen knisternden Sekunden war die Sehnsucht stärker, und er geht langsam auf den Rivalen zu. Schließlich stehen sie sich gegenüber und beginnen, sich zu umkreisen. Der Alte achtet auf jede Bewegung des anderen. Dieser ist ein prächtiges Tier mit einem ganz hellem, ockerfarbenem Fell, das an der Kehle sogar weiß wurde. Das Fell ist dicht und verdeckt mit langen Zotteln den muskulösen Körper. Der Alte sieht, daß sein Gegner ein hervorragender Kämpfer ist, erfahren und schlau, es würde ihm nicht leicht fallen, ihn zu besiegen. Doch der andere Wolf ist sichtbar jünger als er, was ihn jedoch nicht abhalten wird, für die Wölfin gegen ihn zu kämpfen.
So umkreisen sie sich ständig, der Alte schätzt den Gegner ab und sucht nach Schwachstellen, doch zu seiner Verwunderung und Verärgerung bietet der Gegner nie eine Blöße, an der der Alte angreifen könnte. Er ist fest entschlossen, diesen Rivalen zu vertreiben und zu besiegen. Plötzlich macht der Junge einen Ausfall, macht einen kurzen Sprung nach vorn und duckt sich im nächsten Moment seitlich in den Schnee, um den Zähnen des Alten zu entkommen, die sofort den Angriff abwehren, doch in diesem Augenblick springt er ihn seitlich an und bringt ihm mit einem schnellen Biß eine kleine Wunde an der Schulter bei. Der Alte jault verblüfft auf und läßt sich von dem unerwarteten Vorstoß in die Deffensive drängen. Er hat ihn unterschätzt, doch er will seine Charte sofort wieder auswetzen. Er springt vor und beißt sich mit Wucht in dem Rücken des Gegners fest, Der jedoch läßt sich rückwärts in den Schnee rollen, so daß der Alte mitgezogen wird und seitlich im Schnee landet. Unwillkürlich lockert er den Biß leicht, und der junge Wolf nützt dies sofort aus, reißt sich los und versucht, dem Alten in die Kehle zu beißen, doch dessen Reaktion ist schnell, und der Biß geht in den unteren Teile des Halses. Das Fell des Alten färbt sich rot, doch er verspürt noch keinen großen Schmerz. Er ist zu zäh und hartgesotten, als daß ihn dieser Angriff schon geschwächt hätte. Doch der Kampf dauert an, und keiner der beiden Wölfe gibt auf. Da geht der Alte in seiner Bedrängnis ein hohes Risiko ein und rennt seinen Gegner mit all seiner Kraft an. Und sein Manöver glückt! Der Jüngere stürzt und hat sofort den Alten über sich, der soeben seine Kiefer um seinen Hals schließen will. Da bietet der Gegner in seiner Lebensgefahr seine Kehle frei. Der Alte steht noch einige Momente über ihm, dann gibt er ihn frei und geht ein paar Schritte zur Seite. Die Aufgabe des Rivalen hat auch zur Folge, daß der Unterlegene von hier verschwinden muß und den Sieger mit seiner nun erkorenen Wölfin in Ruhe zu lassen hat. Der Junge humpelt davon, verletzt, aber mit erhobenem Kopf. Sein Stolz ist noch nicht gebrochen. Der Alte glaubt, nun den Feind verjagt zu haben, und wendet sich der Wölfin zu. Diese erkennt ihn sofort als neuer und nun einziger Bewerber an und beginnt, täppisch davonzuhüpfen. Die Augen des Alten leuchten auf, und Kraft strömt in seinen zerschundenen Leib. Er rennt der Wölfin nach und ist sofort neben ihr, doch sie bricht seitlich aus und gallopiert davon. Der Alte setzt ihr hell bellend nach, und schon tollen sie wie junge Welpen über die Schneedecke, springen umher und necken sich gegenseitig, um sich danach nur noch heftiger mit Zärtlichkeiten zu bedecken.
Am Abend legen sie sich unter einen verkrüppelten Baum in den Schnee, wo die Wölfin beginnt, ihm die Wunden zu lecken. Der Alte schließt zufrieden die Augen. Trotz der brennenden Wunden fühlt er sich wohl, jung und stark. Schließlich bricht die Nacht herein, und der Wolf liegt dicht neben der Wölfin und lässt sich von dem Schnee, der langsam beginnt, in großen weichen Flocken zu schneien, zudecken.
Der junge Wolf humpelt langsam durch das einsetzende Schneetreiben. Seine Wunden brennen fürchterlich, und er kann kaum laufen. Darum legt er sich im Schutz eines Schneeüberhangs auf den Boden und ruht sich erschöpft aus. Doch die Wölfin geht ihm nicht aus dem Sinn. Er denkt daran, wie sie jetzt bei dem Alten liegt, und dieser Gedanke quält ihn.
Er leckt seine Wunden und fällt schließlich in einen unruhigen Schlaf. Am nächsten Morgen fühlt er sich schon wesentlich besser, und er macht sich auf den Weg.Er hat vor, die beiden im Auge zu behalten. Schon bald erreicht er eine frische Fährte in der unberührten Schneefläche, dicht daneben eine zweite. Er folgt ihnen und sieht die beiden auch bald in der Ferne. Sie haben soeben ein Rentier aufgespürt und versuchen nun, sich anzuschleichen und das Tier, ein alter Einzelgänger, einzukreisen. Plötzlich ertönt jedoch von ferne ein lautes Geheul. Das Ren schreckt auf, bemerkt die beiden Wölfe ganz in seiner Nähe und springt davon. Die beiden Wölfe versuchen noch, das aufgescheuchte Tier einzuholen, doch der Vorsprung ist schon zu groß. Sie wenden sich enttäuscht ab, und der Alte sucht forschend den Horizont nach dem Störenfried ab. Da entdeckt er ihn auf einem fernen Hügel, als er den Kopf stolz in die Höhe streckt und ein triumphierendes Bellen ausstößt. Im nächsten Moment ist er bereits wieder verschwunden, bevor der Alte etwas unternehmen kann. Verärgert macht der sich wieder auf die Suche nach einer neuen Beute. Doch der junge Wolf bleibt nun ständig in ihrer Nähe. Jedes Mal, wenn die beiden ein Wild aufgespürt haben, hört man ein Bellen oder ein Heulen, und wenn das aufgescheuchte Wild entkommen ist, zeigt sich der Rivale kurz in der Ferne und blickt überlegen herüber.
Nach zwei Tagen der erfolglosen Jagd beschließt der Alte, den Wolf erneut aufzuspüren, und nimmt die Verfolgung auf, als der andere sich wieder einmal herausfordernd in der Ferne zeigt. Als er den Hügel erreicht, auf dem der Wolf stand, ist von diesem nichts mehr zu sehen. Doch die Fährte ist noch frisch, und so folgt ihr der Alte, während die Wölfin immer bei ihm bleibt.
Doch nach drei Tagen, in denen er fast ununterbrochen gelaufen ist, muß er erkennen, daß der Rivale stets in einem konstanten Abstand zu ihm bleibt. Da versucht er, eine andere Taktik anzuwenden, und versteckt sich, um den anderen, wenn er zurückkommt, aufzulauern.
Doch nach einigen Stunden, in denen er nur daliegt und auf jedes noch so kleine Geräusch lauscht, wird langsam die Wölfin ungeduldig. Der Hunger nagt inzwischen beträchtlich. Doch da registriert er plötzlich ganz schwach die Witterung des anderen Wolfes. Er wird nervös und aufgeregt, die Wölfin bemerkt dies und lauscht aufmerksam. Da entdeckt der Alte eine Bewegung in einiger Entfernung. Der junge Wolf kommt immer näher, doch nun erklimmt er einen Hügel und legt sich nieder. Dann beobachtet er gespannt die Landschaft vor ihm.Der Wind weht ihm leider in den Rücken, so daß er nicht bemerkt, daß er dem Alten schon sehr nahe ist. Doch er hat die beiden aus den Augen verloren und hält es für zu riskant, noch weiter zu gehen. Also wartet er hier und hält nach einem Lebenszeichen von ihnen Ausschau. Er ist deshalb so mißtrauisch, weil die beiden Wölfe im gestreckten Gallop hätten rennen müssen, um in dieser kurzen Zeitspanne aus seinem Blickfeld verschwinden zu können. Da er das nicht für wahrscheinlich hält, vermutet er, daß sie irgendwo lagern oder sogar ihm auflauern. So liegt er eine Weile und wartet. Der Alte inzwischen knirscht mit den Zähnen vor Ungeduld. Am Abend spürt er den Hunger so stark, daß er den Entschluß faßt, nicht länger warten zu können. Er springt auf und rast in höchstem Tempo auf den Rivalen zu. Der springt auf und fletscht überrascht und verärgert die Zähne. Doch der Alte läßt sich nun von nichts mehr aufhalten. Im Hintergrund kommt die Wölfin zum Vorschein und beobachtet das Geschehen. Der Alte hat den Herausforderer nun erreicht und geht sofort zum Angriff über, doch der Rivale weicht aus und jagt davon. Der Alte setzt ihm sofort hinterher, er ist fest entschlossen, den Feind zur Strecke zu bringen. So läßt er keinen Meter ab und holt immer mehr auf. Doch als er ihn gerade erreicht hat, beschleunigt der andere und entfernt sich wieder von ihm. Der Alte heult vor Wut auf und strengt sich noch mehr an, bis er schließlich direkt hinter ihm ist, und mit einer schnellen Bewegung ritzt er ihm die Flanke auf. Im selben Augenblick schlägt der andere einen Hacken, fährt herum und empfängt ihn sofort mit offenem Rachen. Sogleich haben sie sich ineinander verbissen und versuchen, sich gegenseitig an die Kehle zu kommen. Doch nach einigen Minuten spürt der Alte, wie sein durch Hunger geschwächter Körper nicht mehr so ausdauernd wie früher ist. Der Junge spürt das und wird dreister, greift immer öfter an, immer mehr Wunden überziehen den Körper des Alten. Und der Alte wird sich nun mit einem Male bewußt, das er diesen Kampf nicht mehr gewinnen kann. Er läßt sich zu Boden fallen und gibt seine Kehle preis. Der Junge heult triumphierend auf. Dann wendet er sich ab, geht ein Stück abseits und blickt dann noch einmal zurück. Der Alte liegt schwerverletzt im rotgefärbten, aufgewühlten Schnee und reckt immer noch den Hals, während er den Rivalen unsicher und abwartend von unten her anblickt. Der dreht sich um und trottet zurück zur Wölfin, die ihn sofort wieder umschmeichelt. Er wirft noch einen letzten Blick auf den Alten. Dann wendet er sich abrupt ab und geht davon, die Wölfin dicht neben ihm.
Der Alte schaut ihnen wie betäubt nach, bis ihm die Augen tränen und die Umgebung verschwimmt, dann legt er den Kopf auf die Vorderpfoten und schließt die Augen. Schwer atmend liegt er da, und nun beginnt es auch schon wieder zu scheien, das blutige Fell des Alten wird langsam weiß, und der kühle Schnee beginnt, ihn einzuhüllen. Doch er rührt sich nicht. Vor seinen Augen zieht sich wie ein Film sein Leben vorbei, er erinnert sich an die vielen Kämpfe, aus denen er immer als Sieger hervorging. An all die Gefahren, die er überstand. An jenen Tag, als das Flugzeug kam und das ganze Rudel hinweggerafft wurde, er jedoch als Einziger überlebte. Und an seine treue Partnerin, seine Verehrung zu ihr. Nun ist er zum ersten Mal besiegt worden, und diese Tatsache brennt wie Feuer in seinem Herzen. Es ist ungewiß, ob er überhaupt überleben wird. Die Wunden an seinem Körper sind schwer, und die Schmerzen groß. Vielleicht wird es ihm gehen wie damals, als er angeschossen wurde und einfach einschlief, von allem nichts merkte und gesund wieder aufwachte. Doch etwas anderes schmerzt ihn tausendmal mehr als jede Wunde. Er ist wieder allein, verlassen und einsam. So nahe ist er daran gewesen, wieder einen Gefährten zu haben, mit dem man die Nöte teilen kann, mit dem man zusammen ist.
Doch nun hat auch diesen Gefährten verloren, der in ihm wieder die Erinnerungen von früher aufleben ließ, und er fühlt er sich fast ausgestoßen .
Vor der Begegnung mit der Wölfin liebte er es, doch nun erdrückt es ihn fast:
Die Einsamkeit.
Gomeck, überarbeitet am 17.01.-27.01.94