Das elektronische Haus
Aus dem Tagebuch eines Hausbesitzers
28. November 1997
Sind gerade eingezogen. Jetzt leben wir im intelligentesten Haus der Gegend. Alles ist vernetzt. Das Fernsehkabel mit dem Telefon, das Telefon mit meinem PC, der PC mit dem Stromnetz und allen anderen Geräten. Die Alarmanlage hängt natürlich auch mit dran.
Und alles wird mit nur einer Fernbedienung gesteuert! Vollkommen einfach! Die Programmierung ist ein Kinderspiel. Ich bin jetzt "voll auf Draht"!
30. November
Echt Klasse! Vom Büro aus den Videorecorder programmiert und die Heizung etwas hochgedreht. Per Handy das Licht angeschaltet und den Backofen vorgeheizt, für die Pizza.
Man sollte sich die Fernbedienung glatt einpflanzen lasssen!
3. Dezember
Gestern stürzte die Küche ab. Seltsam. Als ich den Kühlschrank aufmachte, brannte die Glühbirne durch. Sofort gingen alle elektrischen Geräte aus. Stecker raus, Stecker wieder rein - nichts! Anruf bei der Kabelfirma. Die verwiesen mich an den Notdienst. Die vom Notdienst meinten, das wäre wohl ein Programmfehler. Die Softwarefirma hat dann eine Ferndiagnose in meinem Hausprozessor gestartet. Ihr Expertensystem tippte auf einen Bedienungsfehler. Ist mir doch egal, ich will meine Küche wiederhaben! Noch mehr Anrufe, noch mehr Ferndiagnosen.
Es stellte sich raus, dass es sich um den unvorhersehbaren Fehlerfall handelte - im Netzwerk hatte es noch nie den Fall einer durchbrennenden Kühlschranklampe bei geöffneter Tür gegeben. Deshalb hat der Fuzzy - Regler auf einen Kurzschluss getippt und die ganze Küche runtergefahren. Da die Netzüberwachung aber nichts von einem Kurzschluss wusste, war die Küchenlogik verwirrt und konnte keinen Kaltstart machen. Die vom Notdienst schwören jeden Eid, dass so etwas noch nie passiert wäre.
Es dauerte über eine Stunde, bis die Küche wieder gebootet hatte.
7. Dezember
Die Polizei ist sauer. Dauernd ruft unser Haus den Notruf an. Wir haben rausgekriegt, dass immer, wenn wir die Lautstärke auf über 25 dB aufdrehen, Schwingungen auf den Fenstern erzeugt werden. Wenn diese mit einem leichten Luftzug zusammentreffen, sprechen die Glasbruchsensoren an, und der Polizeicomputer denkt, dass jemand bei uns einbricht.
Noch eine Macke: Immer, wenn der Keller im Selbsttest ist, reagiert der Fernseher nicht auf die Fernbedienung. Ich muss aufstehen und von Hand umschalten. Die Leute vom Notdienst und von der Softwarefirma sagen, das Problem werde bei der nächsten Programmversion - SmartHouse 2.1 - behoben; die ist aber noch nicht ganz fertig.
12. Dezember
Das ist ein Alptraum! Mein Haus hat sich einen Virus eingefangen, als ich mit meinem PC im Internet rumgesurft bin. Ich komme nach Hause, und das Wohnzimmer ist eine Sauna. Die Schlafzimmerfenster sind voller Eisblumen, der Kühlschrank ist abgetaut und die Waschmaschine hat den Keller überschwemmt.
Das Garagentor schlägt auf und zu, und der Fernseher empfängt nur noch den Teleshop. Im ganzen Haus flackern die Lampen wie verrückt, bevor sie wegen Überlastung platzen. Überall liegen Glasscherben.
Die Alarmanlage merkt von all dem nichts.
Auf meinem PC-Monitor steht: "Welcome to HomeWrecker!!! Now the FUN begins..."
Ich bin raus aus dem Haus. Aber schnell.
18. Dezember
Sie meinen, das Haus wäre jetzt virenfrei, aber hier sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld. Wir haben diverse Rohrbrüche, und ich bin mir nicht sicher, ob die auch den Teil des Virus erwischt haben, der Toiletten infiziert.
Aber die Exorzisten (so bezeichnen sich die Leute vom Virennotdienst selber!) meinen, das Schlimmste sei überstanden. "HomeWrecker ist schon ziemlich fies", tröstet mich der eine noch, "aber seien sie froh, dass Sie nicht Poltergeist erwischt haben. Da hätten Sie leicht Ärger kriegen können..."
19. Dezember
Offensichtlich ist unser Haus nicht gegen Viren versichert. "Feuer und Erdrutsch - ja, Viren - nein.", sagt der Schadenssachbearbeiter.
Die Softwarelizenz von SmartHouse erwähnt im Kleingedruckten, dass alle Garantieansprüche erlöschen, wenn irgendein Computer oder Gerät in meinem Haus in irgendeiner Form mit irgendeinem nicht am Projekt beteiligten Online-Dienst verbunden wird. Allen tut es schrecklich leid, aber man kann halt nicht erwarten, dass sie auf jeden Virus vorbereitet seien, der jemals geschaffen würde.
Wir haben unseren Anwalt angerufen. Er lachte. Er war sehr am Fall interessiert.
21. Dezember
Ein Vertreter von SmartHouse hat angerufen. So quasi als Weihnachtsangebot, dürfen wir am Beta-Test der neuen Version SmartHouse 2.1 teilnehmen. Ganz umsonst.
Dann könnten wir übrigens auch mal persönlich mit den Programmierern sprechen!
" S e h r g e r n e ! ", habe ich gesagt ...
Michael Schrage (Washington Post?), übersetzt von Jens Jedamzik